Tag 27: Anitli - Tasucu

Yes ich hab es geschafft!!! Ich hab mal sauber durchgezogen und dabei auch noch am Ende Glück gehabt. Heute sind nochmal 155km hinzu gekommen und ich hab das große Ziel Tasucu, den Ort an dem die Fähre nach Zypern ablegt, am Abend, erreicht. Auf diesen Tag hab ich seid Beginn dieser Reise hingearbeitetet!!! Das große Ziel war immer Tasucu, weil die 13km in Zypern sollten auf einer Arschbacke gefahren werden können.

Wie geht's jetzt weiter?! Morgen Dienstag den 19.10.21 nehm ich um 23:30 Uhr die Fähre und bin dann am Mittwoch am  20.10.21 um 6 Uhr in Zypern. Dann werde ich bei Sonnenaufgang noch die letzten 13km radeln und meine Freunde warten mit lecker Frühstück an meiner Wohnung auf mich. Da freu ich mich schon mega drauf!!!

Wenn jetzt die Fähre nicht kaputt geht oder untergeht, sollte das alles ziemlich easy machbar sein. Sogar meine Komoot App sagt eine "leichte" Tour voraus. Normalerweise steht da immer "sehr schwer".:) Ich werde den morgigen Tag nutzen, erst mal ausschlafen und lecker frühstücken. Vielleicht geh ich zum Strand und genieße mal einfach. Ich werde die letzten Eindrücke mal sacken lassen, bevor es dann auf die kurze Zielgeraden in Zypern geht.

Aber jetzt mal zum heutigen Tag! Ich hab mega schlecht am Strand geschlafen. Diese Wellen haben mir mehr zu schaffen gemacht, als ich dachte. Das war nicht wirklich Meeres rauschen, dass hat sich schon immer mehr nach Sturm angehört, wie die Wellen an den Strand geschlagej kamen. So hat es ganz schön lange gedauert bis ich endlich einschlafen konnte. Damit der Tag ein Erfolg wird hab ich mir den Wecker direkt auf 6:30 Uhr gestellt, so dass ich mehr Zeit für die geplanten 165km habe. Ich wollte ja spontan entscheiden ob ich direkt durchziehe. Aber jeder weis wenn man kurz vor dem Ziel ist, dann wird die Sogwirkung so groß und man will es einfach nur hinter sich bringen. So war's auch heute!

Ich bin um 7:30 Uhr schon aufs Fahrrad gestiegen, um direkt mal wieder auf 500m hoch zu fahren. Das hört sich wenig an, aber vom Meer aus, ist das sehr viel, wie ich finde. Leider hat mein Körper diese direkte Anstrengung nicht so gut vertragen. Ich hab zwar gut gefrühstückt, aber irgendwie war's ihm einfach zu viel. Mir war es die ganze Zeit leicht schlecht. Wie wenn der Kreislauf nicht auf der Höhe ist. Es hat ein bisschen das einrollen gefehlt. Ich hab mich so voran gekämpft. Also hab ich in Anamur beschlossen ich muss nochmal mit Zucker tanken. Schnell in einen Laden Fanta, Eistee und Wasser gekauft. Und dann mal 1 Liter Fanta, 1 Liter Eistee reingeschüttet dazu noch 2 Snickers, 1 Packung M&Ms 1 Packung Gummibären und noch ne Tafel Schokolade. Und siehe da, ab da lief es wieder. Mein Hintern war zwar die Hölle, aber heute musste ich da einfach durch. Egal was komme! Das blöde, ich bin heute auch noch 2200 Höhenmeter gefahren, was echt scheiße für den Hintern ist. Dadurch kommt noch mehr Druck auf die Knochen.

Nach Anamur hab ich Mustafa kennen gelernt, er wollte mich mit seinem Gefährt, sowas ähnliches wie ein Elektro Ape Car mit den Berg hoch nehmen. Man muss sagen, dass war eher ein Hügel, im Gegensatz zudem, was ich ne Stunde vorher hoch bin. Er ist Syrer und musste vor 8 Jahren fliehen. In Syrien war er arabisch Lehrer und hier in der Türkei ist er Müllsammler. Er lebt in einem Haus mit seiner Frau und 2 Kindern in Anamur. Hat mich auch direkt eingeladen zu sich, aber Anamur ist ja die falsche Richtung. Da bin ich ja gerade hergekommen. Syrien ist von meiner Position ungefähr noch 300km entfernt, was irgendwie verrückt klingt. Insgesamt hat mich das sehr nachdenklich gemacht. Er hat seine Eltern und seinen Bruder im Krieg verloren. War seit 8 Jahren nicht mehr dort, weil er politisch verfolgt wird. Es ist leicht über Flüchtlinge zu urteilen, aber wenn man sich mal direkt mit jemand Betroffenen unterhält, dann macht einen sowas viel mehr nachdenklich. Man muss Haus und Hof verlassen mit dem was man tragen oder in ein Auto packen kann. Fährt ins Nachbarland und beginnt dort von Null. Das ist echt ein hartes Los. Vermutlich ist man selbst nur ein kleines Lichtlein, auf der Bühne der großen und kommt halt mit drunter, sozusagen, aber um dein Leben zu retten, greift man zu extremen Maßnahmen. Vor allem weis man nie, ob man wieder zurück kann, und sein Besitz noch existiert. Kein schöner Gedanke. Ob Deutschland die Türkei oder andere Länder dieser Welt, richtig mit Geflüchteten umgehen, steht auf einem ganz anderen Zettel. Ich will hier auch nicht politisch werden.

Mir hat diese Begegnung gezeigt, wie dankbar ich sein kann, mir so eine Reise oder Abenteuer erlauben zu können.

Nach der Begegnung mit Mustafa, bin ich einige Zeit meinen Gedanken nach gehangen, bis ich mich wieder fokussieren konnte. Wir wollen ja heute noch Tasucu erreichen. Der Zeitplan war gut. Die Berge haben mir zwar schwer zugesetzt und immer wieder im 1. Gang sich so nen Felsen hoch zu hangeln, wird glaub ich niemals meine große Begeisterung wecken. Heute ging's aber immer wieder total fies kleine Anstiege mit Steigungen von bis zu 15% hoch. Das ist so die Grenzen, die ich mit Gepäck treten kann. Wenn es noch steiler wird, muss ich nach kurzer Zeit schieben. Aber das kommt auf der Bundesstraße nie vor. Die meisten LKW's würden das sonst auch nicht schaffen. Man sieht ich bin mit Gepäck und allem, mehr Elefant als elegant.

So hab ich Höhenmeter für Höhenmeter erkämpft mit dem Wissen, irgendwann bin ich einfach da. Als noch 70km übrig waren, hab ich nochmal Pause gemacht. Wieder 1 Liter Fanta, Gummibärchen, Schokolade getankt damit ich fit für den Rest des Tages bin. Ab hier wurde es langsam zäh. Ich hab gemerkt, wie ich bei den Anstiegen richtig in den Seilen gehangen bin. Bei Km 140 sollte der letzte große Anstieg, laut Navi kommen. Als ich dort war, hab ich zum Glück einen Tunnel entdeckt, den ich benutzen konnte. Wie geil ist das denn!!! Du bereitest dich schon mental auf 1 Stunde, sich in Serpentinen dem Berg hochwinden vor, und dann ist da einfach mal ein scheiß Tunnel. Sowas von geil! Da hat mir die Türkei wirklich einen großen Gefallen getan!!! Endlich Mal ein Tunnel am rechten Fleck. Fertig gebaut und für Fahrradfahrer erlaubt. Dadurch hat sich meine Strecke verkürzt und ich hab mir sicher 400 Höhenmeter gespart. Vielleicht hatte das Universum auch einfach Mitleid mit mir. Das Wetter und die Steigung haben mich schon echt an meine Grenzen gebracht. Ich war wirklich sowas von sowas von froh über den Tunnel, dass hab ich dann auch gleich in den Tunnel hinein geschriehen. 

Als ich dann endlich Tasucu gesehen hab, gab es kein Halten mehr. Ich hab getreten was noch in meinen Beinen drin war, zugegebenermaßen nicht mehr viel. Mir standen die Freudentränen in den Augen. Sollte es das wirklich schon sein? Unglaublich!!! Hab ich es wirklich geschafft? Ist das Tasucu oder doch ein anderer Ort. Zur Sicherheit hab ich mit dem Handy nochmal gecheckt. Und ich hab mich riesig gefreut, als ich die Fährschiffe sehen konnte. Mein Zieleinlauf war echt emotional. Die ganze Kämpferei hat ein Ende und ich bin an meinem großen Ziel angekommen. Yeah!!!

Als ich das Ortsschild fotografiert hab, kam ein Türke zu mir und meinte, es sei gefährlich, einfach so auf der Straße zu stehen. Das war echt lieb, aber in dem Moment dachte ich mir nur. Ich bin verdammte 4000km über was weis ich welche Straßen gefahren, da wird mich jetzt hier auch keiner mehr runterfahren. 

Heute hab ich mich zur Feier des Tages in ein Hotelzimmer eingenistet. Damit ich in Ruhe diesen großen Meilenstein feiern kann.

Aber zugegebenermaßen , bis jetzt hab ich mich nur ewig geduscht, mich angezogen und seit dem nicht mehr bewegt. Vielleicht ist gerade ein bisschen die Luft raus und mein Körper zeigt langsam, dass es ganz schön gach war, was ich mit ihm die letzten Wochen veranstaltet hab.