
Was für ein Tag! Jetzt bin ich genau 3 Wochen unterwegs! Unglaublich! Vieles ist unglaublich! So viele Platten zu haben! So weit zu sein! So viel schlechtes Wetter zu haben. Und so weiter. Ich spiele auf jedenfall, ständig mit meinen körperlichen und mentalen Grenzen.
Gefühlt hab ich heute die Nuss seit Mugla (100km) geknackt. Mein Mentales Monster ist erwacht. Jetzt komm ich an. Ich konnte heute in der letzten Stunde Kräfte mobilisieren, die eigentlich nicht vorhanden waren. Das war sowas von verrückt. Mein Kopf hat einfach den Beinen gesagt was zu tun ist. Hier bin ich weit über die Grenzen gekommen, an die ich normalerweise gehen kann.
Am Ende hat es mich nach 155km auf den Campingplatz in Köycegiz an einem wunderbaren See, direkt gegenüber, verschlagen. Es regnet hoffentlich nicht und die Temperaturen passen eigentlich ganz gut.
Aber jetzt mal zum Anfang zurück. Ich hab heute geschlafen wie ein Baby, nachdem mir einiges gestern durch den Kopf ging, wie diese Reise weitergeht und welche Optionen ich hab. Wie kann ich die Platten besser verhindern?! Wie kann ich mich vor Regen und Unwetter besser schützen?! Aber insgesamt war ich emotional ganz schön angeschlagen. Dieser Tag gestern hat mir sehr sehr viel Kraft gekostet.
Der Schlaf heute hat mir sehr gut getan. Meine Sachen sind auch alle wieder trocken geworden. Nach einem super leckeren Frühstück, bin ich dann losgezogen in den Tag. Schnell noch Wasser und Süßigkeiten gekauft. Bei traumhaften blauen Himmel, waren die Sorgen des Vortags schnell vergessen. Zumindest für die ersten Stunden.
Nach 2 Stunden Fahrt hab ich beschlossen, ich brauche ein zweites Frühstück und bin in einen Migros gegangen und hab mir Brot, Käse, Tomaten und Paprika gekauft und direkt auf einer Bank vorm Supermarkt verdrückt. Schön in der Sonne, da war die Welt in Ordnung. Ich wusste heute wird es ganz schön bergig und ich musste insgesamt 1500m Höhenmeter machen. Aber hier lag alles noch im Zeitplan und ich war gut dran. Aber als ich weiter fahren wollte, war mein Vorderreifen platt. Schon wieder!!! Ich konnte es gar nicht glauben und hab nochmal versucht durch pumpen etwas zu retten, aber keine Chance. Also alles abladen und Reifen ausbauen. Dabei hab ich festgestellt, ich hab mir ne Glasscherbe so eingefahren, dass ein richtiges Loch in der Lauffläche meines Reifens war. Das konnte ich mit den Mitteln hier nicht mehr fixen und ich hab beschlossen den Reifen zu tauschen.
Vorher hatte ich einen Specialized Pathfinder Pro drauf. Ein wirklich geiles Teil, nur die türkischen Straßen haben ihn zerstört. Jetzt fahr ich vorne einen Continental Touring, den ich in Canakkale bekommen habe. Hinten fahr ich seit Start der Tour einen Continental Speed Grip, der mir aber immer mehr Sorgen macht bei diesen Straßen.
Warum ich hier so viele Platten hab, lässt sich sehr leicht erklären. Es liegen hier im Schnitt alle 200m eine zerbrochene Flasche, Fenster, Rückspiegel oder irgendwas ähnliches direkt am Seitenstreifen. Alles immer in tausend Fetzen zerschmettert und ich versuch da irgendwie heil durch zu kommen. Was nicht wirklich gelingt, wie man sieht.
Als ich wieder alles gepackt hatte, ging es in die Berge hoch. Ich hatte wirklich ein total unsicheres Gefühl mit meinen Reifen, welches auch nicht bis Mugla wegging. Ich hab glaub ich mehr auf meine Reifen und wie ich den Glasscherben ausweichen kann, als auf den Weg und den Verkehr, geschaut. So hab ich mich dann 2 Stunden nach oben gekämpft und Mugla erreicht. Nicht geil aber ich bin angekommen. Hier bin ich dann mal wieder in den Fahrradladen. Erster Laden hatte leider meinen Reifen nicht. Mit Händen und Füßen hat er mir das erklärt. Aber einen Helm gab's und ich hab mir als Sonnenschutz einen neuen gekauft. Ich hoffe nur für andere Zwecke kommt er nie zum Einsatz, sonst hab ich ernste Probleme.
Also ab zum zweiten Fahrradladen. Dort hab ich einen neuen Reifen gefunden, damit ich meinen Hinterreifen im Notfall tauschen kann. Hier gab es einen Schwalbe Marathon, den ich jetzt als Ersatz dabei habe. In der Zeit in der ich warten musste, hab ich lecker einen Cay-Tee bekommen und ein angenehmes Gespräch mit dem Händler geführt. Er hat schon mal mit Freunden den Bodensee umrundet. Sehr cool sich endlich mal wieder auszutauschen. Ich werde hier zwar oft angesprochen. Heute insgesamt 3 mal, nur ich kann halt kein türkisch und die meisten kein Englisch. Was lernen wir daraus? Wenn du in einem Land ankommen willst, musst du die Sprache lernen. Das nehm ich mir fest vor. Nur so wird man in einem neuen Land akzeptiert, oder schafft zumindest die Voraussetzung dafür.
Nach dem Gespräch über schlechte türkische Straßen und das Reisen ist irgendwie der Knoten geplatzt. Auf einmal hatte ich die alte Sicherheit zurück und das Gefühl, dass mich heute Nichts mehr stoppen kann. Auch wenn ich in die Nacht hinein fahren muss, weil mich das ganze Fahrradzeug einiges zurück geworfen hat.
Aber was soll ich sagen es lief einfach. Ich hatte keinen Sorgen mehr und ich bin gefahren, wie wenn es nicht schwer wäre. Keine schweren Beine und ein klarer Kopf.
Total verrückt ich glaub auf dieser Strecke hab ich die Nuss geknackt für diese Tour. Ich hab gespürt, was alles noch in mir steckt, obwohl eigentlich nichts mehr vorhanden sein dürfte. Das waren 3 krasse Std. Ich bin einfach gefahren und hab mich gefreut. Es ging auf einer ruhigen Bergstraße, über die Felsen und Hügel. Ein wahrer Traum. Am Ende dann noch eine Abfahrt von 6km, schön in Serpentinen und einen Traum Blick. Das war einfach nur Wow! Dafür bin ich angetreten! Die Sonne ging schon langsam hinter die Berge und hat das Panorama spektakulär beleuchtet. Das war wirklich spektakulär und mir standen immer wieder die Freudentränen in den Augen. Das war ein Moment des Glücks und des Genießens für die ganze Schinderei. Das klingt vielleicht blöd, aber ich finde, auf so einer Tour, einen direkten Draht zu meinen Emotionen, was mir sonst im Alltag nicht so leicht möglich ist. Liegt vermutlich daran, dass ich viel öfter an meine Grenzen gebracht werde.
Nach der Abfahrt ging es noch 25km bis zum Ziel und das war einfach nur noch verrückt. Ich hab noch ne Tafel Schokolade und eine Packung Gummibärchen getankt und dann ging's ab. Ich hab die 25km auf ebener Strecke in einer Stunde geschafft. Und das alles nach 130km und 1500 Höhenmeter. Ich hab getreten, wie ein verrückter. Ich hatte Kraft ohne Ende und mein Kopf hat den Beinen einfach den Befehl gegeben ohne Widerruf. Das war einfach nur ein krasses Gefühl und ich war in einem Modus in dem ich gar nicht mehr viel, um mich herum wahrgenommen hab. Solche Momente hatte ich auf dieser Tour noch nicht. Sie können aber gerne öfter kommen. Das macht vieles leichter.
Am Ende übernachte ich hier in einer sehr schönen Stadt. Wirklich schick hergerichtet und schön anzusehen. Mit einer kilometerweiten Promenade.
Hier noch die Route zu Heute: